Die Digitalisierung von Events: Der Hybrid-Hype-Cycle

Kennen Sie den „Hybrid-Hype-Cycle“? Entwickelt hat ihn die Unternehmensberatung Gartner. Er schildert die Phasen der öffentlichen Diskussion um eine neue Technologie nach deren Einführung.

Zunächst (Phase 1) löst sie großes Interesse beim Fachpublikum aus. Dann springen Trittbrettfahrer auf und versuchen, aus der Innovation Profit zu ziehen. Das führt zur Entstehung einer Blase aus überzogenen Erwartungen (Phase 2), die anschließend zwangsläufig in Enttäuschungen und Kritik münden; die Berichterstattung ebbt ab (Phase 3). Nach diesem „dialektischen“ Umschwung setzt sich endlich eine realistische Sichtweise durch; Gartner nennt das etwas pathetisch den „Pfad der Erleuchtung“ (Phase 4), der letztlich zu einem produktiven Umgang mit der neuen Technologie führt (Phase 5).

Ziemlich genau so – wie der klassische Hype-Cycle – verlief bislang die Diskussion um die Digitalisierung von Veranstaltungen. Was wurden da am Anfang für steile Thesen aufgestellt! Hier ein paar Beispiele: „Messen und Ausstellungen werden erst durch das Internet richtig interaktiv“, meinte Dagobert Hartmann von Uniplan. Wolfgang Altenstrasser von Vok Dams prophezeite: „In Zukunft wird es ohne Social Media kein erfolgreiches Event mehr geben!“ Und Achim Kübert von MCI setzte noch einen drauf und erklärte: „Die Events der Zukunft sind digital!“

Der heute so gern verwendete Begriff „Disruption“ wäre noch eine Nummer zu klein für die alles umwälzenden Veränderungen, die man damals von der Digitalisierung von Veranstaltungen erwartete. Es wurde sogar allen Ernstes behauptet, durch die Digitalisierung ändere sich das Wesen der Veranstaltung an sich, es entstünde eine neue Gattung, der „Hybrid-Event“. Vok Dams brachte ihn auf die Formel: „Hybrid-Event = Live + MoSoLo“. Dabei steht „MoSoLo“ für Mobile Applications, Social Media und Location-Based Services (z. B. VR/AR). Diese Kombination, so Vok Dams, verfüge über eine „Kontaktintensität“, die höher sei als die von „Live-Events“, also Präsenzveranstaltungen bzw. persönlichen Begegnungen.

Die Entstehung des Hybrid-Hypes-Cycle

„Hybrid-Event“ ist natürlich nur ein „Marketing Buzzword“, von Beratern kreiert, um das Thema Digitalisierung auf die Branchen-Agenda zu setzen. Es verdichtet den Veränderungsdruck, den Internet und mobile Endgeräte im Veranstaltungs-Management erzeugen, zur Metapher vom „hybriden“ (zusammengesetzten) Event, welches das persönliche Erlebnis mit dem digitalen verbindet. Das Auftauchen solcher Buzzwords ist immer ein sicheres Zeichen für den Eintritt in die Phase der „inflated expectations“, wie Gartner sie nennt; denn Buzzwords dienen dazu, einen Hype zu kreieren und ihn weiter anzuheizen. Vok Dams importierte den Kunstbegriff „Hybrid-Event“ um das Jahr 2011 aus den USA, versuchte ihn in der Diskussion durchzusetzen und hatte damit einigen Erfolg (er ist im Sprachgebrauch ziemlich persistent), erntete andererseits aber auch harsche Kritik dafür. In jedem Fall verfehlte die gesamte PR-Kanonade ihre Wirkung nicht. Man musste den Eindruck gewinnen, die gute alte Präsenzveranstaltung sei völlig überholt, alles werde jetzt anders: Events würden keine Events mehr sein, sondern mindestens „hybrid“, wenn nicht gleich ganz digital.

Präsenzveranstaltung als Auslaufmodell?

In der ersten Euphorie scheinen viele Veranstaltungs-Manager die eklatanten Widersprüche in diesen Thesen nicht bemerkt zu haben. Ich selbst hatte als einer der ersten in Vorträgen und Aufsätzen darauf hingewiesen und mich nachdrücklich gegen den Begriff „Hybrid-Event“ gewandt. Aus ganz einfachen Überlegungen: Wenn Digitalisierung so unglaublich toll ist, dann muss ein „Mehr davon“ automatisch immer besser sein. Doch ist das wirklich so? Gibt es keinerlei Grenzen oder Risiken, die zu beachten sind? Was ist mit der Ablenkung der Gäste? Wenn alle während der Veranstaltung nur noch online sind und auf ihr Smartphone starren – wer soll denn noch dem Programm folgen? Und wer würde in Zukunft noch zu solch einer „Veranstaltung“ kommen und eine lange Anreise in Kauf nehmen für etwas, das er auch bequem zu Hause haben kann?

Ist mehr Digitalisierung immer besser?

Früher war es Konsens, dass die besondere Stärke von Events in der persönlichen Begegnung liegt – und der dadurch ausgelösten emotionalen Wirkung, also einer überlegenen Interaktionsqualität. Wie kann es dann sein, dass Veranstaltungen angeblich erst durch das Internet „richtig interaktiv“ werden, wo Interaktionen bekanntlich unpersönlich und oberflächlich ablaufen? Offenbar war die „digitale Betrunkenheit“ (Christof Baron) seinerzeit so groß, dass man eine Kommunikation über Medien für interaktiver hielt als eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Früher war es auch Konsens, dass die Multisensorik das Alleinstellungsmerkmal von Events darstellt. Auch das ging im digitalen Wirbel unter: Wie kann eine digitale Kommunikation, die bestenfalls zwei Sinne anspricht, dem überlegen sein? Sie kann es eben nicht! Ihr Vorteil liegt in der Reichweite und der Möglichkeit der zeitversetzten Kommunikation; auf diese Art und Weise kann das Veranstaltungserlebnis in das Vor- und Nachfeld der Veranstaltung hinein verlängert werden. Doch darf das nicht dazu führen, dass man nur noch auf die Häufigkeit der Interaktionen schaut, nicht aber mehr auf deren Qualität.

Der Social-Media-Hype


(Bild: ©Семен Саливанчук – fotolia.com)Und was die Sozialen Netzwerke angeht – die heute zuweilen schon „asoziale Netzwerke“ genannt werden –, so wurde deren Bedeutung anfangs deutlich überschätzt. Beeindruckenden theoretischen Reichweiten steht hier eine nur verschwindend geringe Zahl aktiver Nutzer gegenüber. Und für geschäftliche Veranstaltungen – den weit größeren Teil des Veranstaltungsmarktes – sind Facebook, Twitter und Co. nicht übermäßig relevant. Viele Unternehmen haben ihren Mitarbeitern längst verboten, diese Medien am Arbeitsplatz zu nutzen. Außerdem sind Soziale Netzwerke öffentlich, während man bei Business-Events gern unter sich bleibt. Langfristig dürften sich deshalb maßgeschneiderte, veranstaltungsspezifische Internetseiten und B2B-Netzwerke durchsetzen. Man sieht – an Übertreibungen hat es in der Vergangenheit nicht gemangelt. Wir wollen deshalb einmal nachsehen, was davon heute noch übrig geblieben ist, und in welcher Phase des Hype-Cycle wir uns mit der Digitalisierungsdiskussion inzwischen befinden. Gelegenheit dazu bot vor einiger Zeit die Schweizer Messe- und Event-Fachzeitschrift Expodata (Nr. 5/2018) in einer Reihe von Kurz-Interviews mit Veranstaltungsexperten zu der Frage, welche Strategie Unternehmen verfolgen sollten: „Digital first“ oder auf die Stärken der „Live-Kommunikation“ setzen?

Realistische Sicht auf Digitalisierung setzt sich durch

Die Antworten stehen in einem krassen Gegensatz zur früheren Digitalisierungseuphorie. Stefan Schäfer-Mehdi, ohnehin für besonnene Kommentare bekannt, konstatiert: „Die (digitale) Transformation findet statt, sie wird aber nicht prinzipiell dazu führen, dass die persönliche Begegnung und das gemeinsame Erleben wegerodieren.“ Und das liegt daran, meint Bala Trachsel vom Schweizerischen Verband Expo Event, dass „Live-Kommunikation kann, was das Internet nicht schafft: Emotionen generieren.“ Durch die persönliche Begegnung mit all ihrer multisensorischen Wucht und nachhaltigen Eindrücklichkeit.

Doch selbst Hybrid-Prediger der ersten Stunde singen jetzt das hohe Lied auf das „Live-Event“. Wolfgang Altenstrasser von Vok Dams wird jedenfalls mit den Worten zitiert: „Live-Events werden nach wie vor das Maß der Dinge sein, wenn es um emotionale und vor allem um vertrauenswürdige Kommunikation geht. Hier kann ich die Botschaft mit allen Sinnen erleben, hier werden Marke und Unternehmen ‚erlebbar‘ und in keinem anderen Kanal komme ich so nah an meine Zielgruppe.“ Als hätte es die Hybrid-Event-PR-Dröhnung aus dem Hause Vok Dams nie gegeben, wird hier die Überlegenheit des persönlichen Erlebens gegenüber jeder digitalen Kommunikation überzeugend begründet. Der Faktor Vertrauen wird erwähnt, der sich durch digitale Interaktionen eben nicht herstellen lässt, sondern nur durch persönliche Begegnung. Die Multisensorik wird angesprochen, welche die Botschaft mit allen Sinnen erlebbar macht. Und die Nähe und persönliche Bindung zur Zielgruppe und damit die überlegene Kontaktqualität der Begegnungskommunikation wird ebenfalls adressiert.

Digitale Interaktionen sollten sich bewusst auf das Vor- und Nachfeld des Events konzentrieren und während der Veranstaltung nur sehr sparsam eingesetzt werden.

Merke: Für die Verursacher des Hypes ist der „Pfad zur Erleuchtung“ im Hype-Cycle mit Säcken voll Kreide gepflastert, die sie dann essen müssen. Ich habe ehrlich gesagt nie verstanden, warum manche Event-Agenturen sich mit dem Aufkommen der Digitalisierung plötzlich gebärdeten wie Internet-Hotshops. Man kann sein Kompetenzspektrum erweitern, aber man sollte niemals seine DNA verraten. Das ist schlechte Markenführung.

Die verbale Blendgranate „Hybrid-Event“ wird zum Rohrkrepierer

Auf den Punkt bringen es Carole Ramuz (Brandsoul) und Reto Caviezel (Carré Event): „Gute Events sind nicht zu ersetzen“, denn: „Ohne guten Content keine digitale Verbreitung.“ So ist es: Das Digitale hängt am Realen, umgekehrt gilt das nicht. Deshalb ist das Bild von einem „Hybrid-Event“, der von zwei Motoren angetrieben wird, so irreführend. Es gibt nur einen Motor: die Präsenzveranstaltung! Der digitale ist ein Hilfsantrieb, der ohne den ersten nicht läuft. Er soll den ersten unterstützen, kann ihn aber nicht ersetzen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin alles andere als ein Digitalisierungsgegner. Es geht nur darum, der Digitalisierung im Event-Management den richtigen Platz zuzuweisen. Wer will, kann sich anhand der Literaturhinweise weiter unten ein genaueres Bild davon machen.

Bei Licht betrachtet, bezeichnet das Attribut „hybrid“ nur die – selbstverständliche – Einbeziehung zeitgemäßer Kommunikationsmedien. Wir haben früher doch auch nicht von „Print-Events“ gesprochen, bloß weil wir gedruckte Einladungen und Tagungsunterlagen verteilt haben. Der Vergleich verdeutlicht, wie buzzword-verseucht die ganze Digitalisierungsdiskussion bisher war. Es ist Zeit für mehr Nüchternheit, das sehen inzwischen offenbar auch viele Branchen-Experten so, und das macht Mut, dass es in Zukunft mit der Digitalisierung in einer sinnvollen Weise weiter gehen kann. Die Events der Zukunft sind nicht „digital“. Sie sind auch nicht „hybrid“. Solche Behauptungen sind Nonsens. Sie sind Events – plus gezielt eingesetzte digitale Kommunikationstechnologien.

Quelle:

Prof. Dr. Hans Rück (54)

Dekan des Fachbereichs Touristik/Verkehrswesen an der Hochschule Worms

Dozent für Event-Management und Marketing

Geschrieben für Events-Magazine.de

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